Die Reich Gottes Verkündigung
Kernbotschaft Jesu ist die Botschaft vom Reich Gottes. Diese wird nicht als Konzeption vorgestellt, sondern in Gleichnissen, Situationen (z. B. Sündermahlzeiten) und den Wundern Jesu konkret und erfahrbar. Dennoch können einige wesentliche Elemente, also "Grundzüge" der Reich-Gottes-Botschaft festgestellt werden.Im EKD-Glaubens-ABC liest sich dies folgendermaßen: "Die Rede vom Reich Gottes beschreibt die Vorstellung im Volk Israel, dass eine Zeit bevorsteht, in der "Gott König ist" (Richter 8,23), in der es eine Herrschaft von Menschen über Menschen nicht mehr gibt. Die Gottesherrschaft bildet das Zentrum der Verkündigung Jesu.
Der Blick weitet sich über Israel hinaus auf die Völkerwelt, die einen König erwartet, der Frieden und Gerechtigkeit bringt, einen von Gott gesalbten Messias. Das Neue Testament nimmt diese Aussagen auf: "Das Reich Gottes ist mitten unter euch" (Lukas 17,21). Was geschieht in diesem Reich? Folgende Szene gibt darüber Aufschluss: Johannes der Täufer schickt Jünger zu Jesus mit der Frage: "Bist du der von Gott gesandte König, der Messias, mit dem das Reich Gottes beginnt?" (Matthäus 11,2f.) Jesus beantwortet diese Frage nicht. Er verweist auf das, was geschieht. "Blinde sehen, Lahme gehen, Kranke werden auf den Weg der Heilung gebracht." (Matthäus 11,5) Zeichen des Anbruchs der Herrschaft Gottes sind dort wahrzunehmen, wo Menschen heil werden. Das Reich Gottes ist schon jetzt angebrochen, aber der Gebetsruf des Vaterunser - "dein Reich komme" - weist daraufhin, dass es noch nicht vollendet ist.
Was bedeutet das Reich Gottes?
Der Theologe Hans Küng schreibt hierzu: "Ein Reich, wo nach Jesu Gebet Gottes Name wirklich geheiligt wird, sein Wille auch auf Erden geschieht, die Menschen von allem die Fülle haben werden, alle Schuld vergeben und alles Böse überwunden sein wird.Ein Reich, wo nach Jesu Verheißungen endlich die Armen, die Hungernden, Weinenden, Getretenen zum Zuge kommen werden: wo Schmerz, Leid und Tod ein Ende haben werden. Ein Reich nicht beschreibbar, aber in Bildern ankündbar: als der neue Bund, die aufgegangene Saat, die reife Ernte, das große Gastmahl, das königliche Fest.
Ein Reich also - ganz nach den prophetischen Verheißungen - der vollen Gerechtigkeit, der unüberbietbaren Freiheit, der ungebrochenen Liebe, der universalen Versöhnung, des ewigen Friedens. In diesem Sinne also die Zeit des Heiles, der Erfüllung, der Vollendung, der Gegenwart Gottes: die absolute Zukunft.
Gott gehört diese Zukunft. Der prophetische Verheißungsglaube ist von Jesus entscheidend konkretisiert und intensiviert worden. Die Sache Gottes wird sich in der Welt durchsetzen! Von dieser Hoffnung ist die Reich-Gottes-Botschaft getragen. Im Gegensatz zur Resignation, für die Gott im Jenseits bleibt und der Lauf der Weltgeschichte unabänderlich ist. Nicht aus dem Ressentiment, das aus der Not und Verzweiflung der Gegenwart das Bild einer völlig anderen Welt in eine rosige Zukunft hineinprojiziert, stammt diese Hoffnung. Sondern aus der Gewissheit, dass Gott bereits der Schöpfer und der verborgene Herr dieser widersprüchlichen Welt ist und dass er in der Zukunft sein Wort einlösen wird."
Gleichnisse erklären das Reich Gottes
Das Reich Gottes ist kein politisches Reich, sondern will neue, bisher unvorstellbare Beziehungen der Menschen untereinander und mit Gott lebendig werden lassen. So ist das Böse, mit dem die Welt und die Menschen konfrontiert sind, entmachtet. Zudem gilt das Reich Gottes allen Menschen guten Willens und ist - nach Vorstellung Jesu - nicht dem "auserwählten Volk" Israel vorbehalten (siehe unten).Die Botschaft vom Reich Gottes (oder - wie es im Matthäusevangelium heißt - von der Gottesherrschaft) greift alttestamentliche Heilshoffnungen auf. Im Reich Gottes sind die Übel und das Leid der Welt, wie Krankheiten, Bosheit, Unbarmherzigkeit, Einsamkeit und Missachtung der Würde der Menschen überwunden. Dagegen gelten neue Maßstäbe für die Beziehungen der Menschen untereinander wie Gewaltlosigkeit, Nächsten- und Feindesliebe, Barmherzigkeit und Versöhnung.
Das Reich Gottes ist eine Größe dieser Welt, allerdings noch unscheinbar und verborgen (vgl. Senfkorngleichnis Mt 13, 31f und Gleichnis vom Sauerteig Mt 13, 33 und andere Gleichnisse). Die Gleichnisse insgesamt weisen darauf hin, wie Jesu sich das Reich Gottes vorstellt (vgl. Lk 8, 9-10).
Auch die Wunder, die von Jesus berichtet werden, machen deutlich, dass das Reich Gottes in Anfängen schon gegenwärtig ist, selbst wenn die Vollendung noch aussteht. Krankenheilungen überwinden konkretes Leid; Sündenvergebungen eröffnen neue Perspektiven und ein neues Verhältnis zu Gott; mit den mehrfach überlieferten Dämonenaustreibungen wird deutlich, dass das Böse überwunden und entmachtet wird; Speisungswunder zeigen, dass Jesus nicht nur das geistige Wohl, sondern auch das körperliche Heilsein der Menschen möchte.
Das Reich Gottes ist schon in Jesus angebrochen, aber noch nicht vollendet („eschatologischer Vorbehalt“). Unter Eschatologie versteht man die Lehre von den letzten Dingen, also auch die Lehre vom Reich Gottes. "Eschatologischer Vorbehalt" bedeutet eben, dass das Reich Gottes schon begonnen hat, allerdings „vorbehaltlich“ dessen letzter Erfüllung, die nicht „von dieser Welt“ ist.
Das Reich Gottes ist letztlich Geschenk Gottes. Der Mensch allein kann das Reich Gottes nicht erarbeiten oder verdienen. (vgl. dazu u. a. Mk 10, 17-27, wo es um „Reichtum und Nachfolge“ geht). Deutlich wird dieser Geschenkcharakter auch im Gleichnis vom verlorenen Sohn oder barmherzigen Vater (Lk 15,11-32). Ohne Vorwurf und ohne Leistungsforderung geht der Vater dem heimkehrenden Sohn auf eigene Initiative entgegen und nimmt ihn wieder vorbehaltlos in die Gemeinschaft auf.
Das Reich Gottes ist ein Angebot an die Menschen. Dieses fällt nicht immer auf "fruchtbaren Boden" (vgl. Sämanngleichnis Mt 13, 1-9 und Deutung
Mt 13, 18-23). Wenn diese Botschaft, dieser Samen des Reiches Gottes aber aufgegriffen wird und reifen kann, dann ergibt es eine überreiche Frucht.
Die Welt wird durch Gott zum Guten befreit. Ängste, Leid und Tod werden letztlich überwunden, wodurch Mensch und Welt zum Heil finden. Dabei
wird im Verhalten Jesu deutlich, dass diese Befreiung zum Guten schon in dieser Welt sein soll. So jedenfalls sind seine Zeichen und Heilungen
zu verstehen, die ja andeuten, dass irdisches Leid überwunden werden soll. Das Reich Gottes ist also nicht einfach als Leben nach dem Tod gedacht.
Das Reich Gottes bedeutet eine Umgestaltung und Verwandlung der Welt, sodass Gerechtigkeit, Friede, Freiheit und Liebe herrschen. In diesem
Zusammenhang ist auch die Forderung der „Feindesliebe“ zu sehen, sodass das Reich Gottes selbst den Feinden offen steht. Alle Völker sollen
im Reich Gottes vereint werden.
In besonderer Weise gilt die Botschaft vom Reich Gottes und damit die Zuwendung Gottes den "Verlorenen", den Entrechteten, denen, die
am Rande der Gesellschaft stehen.
Ursprünglich hat Jesus sich wohl an das Volk Israel mit seiner Botschaft gerichtet. Diese „Sammlungsbewegung des Volkes Israel“ drückt sich
etwa auch in der Berufung der 12 Apostel aus, mit der Jesus an die 12 Stämme Israels anknüpft. Schon bald allerdings öffnet sich die Botschaft
Jesus und geht auch an „Adressaten“ außerhalb des eigentlichen Volkes Israels.
Die Einladung zum Reich Gottes richtet schließlich an alle, Juden und „Heiden“, v. a. auch an Sünder, Fremder, „Randständige“, Entrechtete,
Kranke und den „Menschen guten Willens“. In der Bergpredigt (Mt 5-7) wird so etwas wie ein Programm des Reiches Gottes aufgestellt. Dort wird
auch deutlich, wem das Reich Gottes „offen steht“ (vgl. die Seligpreisungen Mt 5, 3-11), wo denen, die arm sind vor Gott, den Trauernden, denen,
die keine Gewalt anwenden, denen, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit usw., das Reich Gottes zugesagt (in jeweils unterschiedlichen
Formulierungen). Dass die Botschaft vom Reich Gottes an alle geht, zeigt sich etwa auch darin, dass Jesus mit dem Zöllner Matthäus oder auch
mit Zachäus auch offensichtliche „Verräter“ des jüdischen Volkes anspricht. Beim Oberzöllner Zachäus (Lk 19, 1-10) lädt er gar sich selbst sein,
um diesem die Chance zu geben, sein Leben zu ändern.
Das Reich Gottes fordert allerdings die Entscheidung des Menschen zur Umkehr (vgl. Mk 1,15). Die Umkehr kann auch verweigert werden. Jesus
will die Menschen für dieses Reich Gottes gewinnen ohne sie zu zwingen.
Die Entscheidung für Jesus und das Reich Gottes bedeutet Loslösung von natürlichen und sozialen Bindungen, in letzter Konsequenz die
Kreuzesnachfolge. Diese Vorstellung wird immer wieder deutlich und zeigt sich schließlich auch im Schicksal der Märtyrer.
Mit den Wundern, die von Jesus niemals als Erweis seiner besonderen Sendung missbraucht wurden, wird deutlich, dass Jesus das Heil der Menschen
schon jetzt möchte. Menschen, die "von Dämonen besessen waren" (heute würde von von psychischen Erkrankungen sprechen) waren nicht mehr "Herr"
ihrer selbst, galten als von Gott übergangen (Krankheit wurde immer auch als Strafe Gottes interpretiert), waren aus der Gesellschaft und vom
religiösen Leben ausgeschlossen (wie auch Aussätzige) und konnten so kein Selbstbewusstsein mehr entwickeln. Jesus gelang es, den Menschen
wieder eine Perspektive zu geben, ihnen die Würde zurückzugeben, ihre Gottebenbildlichkeit wieder spürbar werden zu lassen. Mit den
Krankenheilungen und den Zeichen im Umfeld derselben (Wahrnehmung der Berührung der blutflüssigen Frau, In-die-Mitte-stellen der gekrümmten
Frau in der Synagoge, Zugehen auf kranke oder sündige Menschen, dem Nennen ihrer Namen, der Sendung nach ihrem Zuhause, Heilung am Sabbat)
holt Jesus die Menschen zurück in die Gemeinschaft und überwindet religiöse Vorurteile und Festsetzungen (wie z. B. Verbot der Heilung am Sabbat).