Leitlinien Christlicher Ethik

Als Christ handeln

Allein aus dem christlichen Glauben und der Bibel heraus ergeben sich keine eigenen Formen der ethischen Urteilsbildung. Vielmehr sind in der Bibel verschiedene Formen zu finden. In der Bibel und im Christentum findet man stattdessen bestimmte Vorstellungen und Sichtweisen in Bezug auf den Menschen, so zum Beispiel die Gottesebenbildlichkeit und die Würde des Menschen. Zusätzlich beruft sich die christliche Ethik auf Wertorientierungen etwa im Sinne der Schöpfungsethik oder der Gerechtigkeit.

Im Zentrum der chritlichen Ethik steht die Liebe. Jeder Mensch wurde von Gott geschaffen, ist gewollt und geliebt. Auf dieser Erkenntnis beruht auch das Nachdenken über richtiges Handeln von Christen. Eine zentrale Rolle nehmen hierbei die Texte der Bibel ein.

Zentrum der christlichen Ethik bilden die Zehn Gebote als ein Angebot für gelingendes Leben. Vor allem das 5. Gebot "Du sollst nicht töten (2. Mose 20,13) zeigt dies und wurde von Luther im Großen Katechismus wie folgt ausgelegt:

"Darum ist die ganze Summa davon (den Einfältigen aufs deutlichste einzuprägen, was da heiße nicht töten): zum ersten, dass man niemand Leid tue erstlich mit der Hand oder Tat, darnach die Zunge nicht brauchen lasse, dazu zu reden oder raten; über das keinerlei Mittel oder Weise brauche noch bewillige, dadurch jemand möchte beleidigt werden, und endlich, dass das Herz niemand feind sei noch aus Zorn und Hass Böses gönne; also dass Leib und Seele unschuldig sei an jedermann, eigentlich aber an dem, der dir Böses wünscht oder zufügt. Denn dem, der dir Gutes gönnt und tut, Böses tun, ist nicht menschlich, sondern teuflisch.

Zum andern ist auch dieses Gebots schuldig nicht allein, der da Böses tut, sondern auch wer dem Nächsten Gutes tun, zuvorkommend wehren, schützen und retten kann, dass ihm kein Leid noch Schaden am Leibe widerfahre, und tut es nicht. Wenn du nun einen Nackten lässt gehen und könntest ihn kleiden, so hast du ihn erfrieren lassen. Siehst du jemand Hunger leiden und speisest ihn nicht, so lässt du ihn Hungers sterben. Also siehst du jemand zum Tode verurteilt oder in gleicher Not, und rettest nicht, so du Mittel und Wege dazu wüsstest, so hast du ihn getötet. Und wird nicht helfen, dass du verwendest, du habest keine Hilfe, Rat noch Tat dazu gegeben; denn du hast ihm die Liebe entzogen und der Wohltat beraubt, dadurch er bei dem Leben geblieben wäre." Martin Luther,Großer Katechismus,Nach der Fassung des deutschen Konkordienbuches (Dresden 1580)

Vor allen Ansprüchen an unser Verhalten stehen in der Bibel allerdings die Liebe und der Zuspruch Gottes. Bevor das Doppelgebot der Liebe zur Aufgabe für den Menschen wird, steht das Geschenk der Liebe Gottes: Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden. Der Anspruch Gottes an das Handeln des Menschen wird in der Bergpredigt auf die Spitze getrieben. Häufig missverstanden und als unerfüllbar angesehen wird die Aufforderung zur Feindesliebe. Dieser Text über das Hinhalten der anderen Backe in Mt 6,39 polarisiert. Liebe deine Feinde. Kaum eine Aufforderung scheint so wenig erfüllbar wie diese. Martin Luther King sagt hierzu folgendes "Ich weiß kein intelligenteres Gebot als das der Feindesliebe, denn nur die Befolgung dieses Gebotes kann die unselige Spirale von Gewalt und Gegengewalt durchbrechen und Versöhnung zwischen Feinden bewirken." Die Feindesliebe ruft aber keinesfalls zum feigen Abducken und Ertragen, im Gegenteil, sie fordert Mut und Zivilcourage. Die Frage, die sich an dieser Stelle stellt. ist die nach der Art der Waffen bzw. den Methoden der Auseinandersetzung. Denn gerade der Wille, sich mit seinem Feind zu versöhnen fordert den Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit ein. Was der Begriff Feindesliebe nicht meint, ist ein Gefühl von Zuneigung gegenüber dem Feind, sondern sie sollte als Zuwendung hin zum Feind verstanden werden. Wer seinen Feind liebt, versucht ihn als Mensch zu verstehen, und dies mit dem Ziel, die Feinschaft zu überwinden. Begründet wird diese Feindesliebe bei Jesus mit dem Handeln Gottes: auch dem Bösen und Ungerechten wird nicht die Lebensgrundlage entzogen.

Auch das christliche Menschenbild zeugt von ethischen Werten. Jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes und mit allen Geschöpfen Gottes verbunden. Der Mensch lebt nicht für sich allein, sondern ist zur Gemeinschaft mit anderen bestimmt. Als Beziehungswesen ist er auf Liebe und Zuwendung angewiesen. Er lebt in vielfältigen Beziehungen: zu Gott, zu seinen Mitgeschöpfen und zu sich selbst. Ohne eigenes Hinzutun wird man in diese Beziehungen hineingeboren. Als ein sich seiner selbst bewusstes Wesen trägt der Mensch Verantwortung für sich und seine Mitgeschöpfe. Er trägt Verantwortung, weil er die Freiheit bei der Wahl seiner Handlungen hat. Allerdings ist diese Freiheit nicht unendlich, sondern begrenzt durch die Lebensumstände und nicht zuletzt durch die eigene Lebenszeit. Anders als die anderen Geschöpfe wurde der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen. Als Gegenüber Gottes und dessen Stellvertreter auf der Erde ist er zu verantwortlichem Handeln aufgerufen. Als Ebenbild Gottes ist jeder Mensch mit Würde ausgestattet. Diese muss nicht erworben werden und beinhaltet das Recht auf ein menschenwürdiges Leben.

Biblische Grundlagen

Im Christentum bildet die Bibel das Fundament für ethisches Handeln mit der darin bezeugten Vorstellung von einem gütigen und gerechten Gott. Im Alten Testament sind es vor allem prophetische Einzelgestalten, die soziale oder kultische Missstände anmahnen und zur Umkehr auffordern. Die Zehn Gebote rufen auf, die von Gott geschenkte Freiheit positiv zu gebrauchen. Im Neuen Testament rückt Jesus noch einmal den engen Zusammenhang von Gottes- und Nächstenliebe in den Vordergrund und gibt mit den Forderungen in der Bergpredigt neue Impulse.

Prophetische Kult- und Sozialkritik

Im Alten Testament begegnet mutige Mahner und Deuter, die gesellschaftliche Missstände ihrer Zeit benennen und anprangern. Sie protestieren gegen Götzendienste und vielfältige Formen von ungerechtem Handeln, vor allem gegenüber Armen, Fremden, Kindern und Witwen. In ihren Predigten üben sie vor allem Kult- und Sozialkritik. In ihrem Selbstverständnis als Sprachrohr Gottes verkünden sie das bevorstehende Gericht beziehungsweise das nahende Reich Gottes, was von Jesus im Neuen Testament wieder aufgegriffen wird. Sie rufen das Volk zur Umkehr und forden die Menschen auf, ihr Handeln auf das kommende Friedensreich Gottes auszurichten. Sehr deutliche Worte findet hier der Prophet Amos in Am5,21-24:

21 Ich hasse eure Feste, ich verabscheue sie und kann eure Feiern nicht riechen. 22 Wenn ihr mir Brandopfer darbringt, ich habe kein Gefallen an euren Gaben und eure fetten Heilsopfer will ich nicht sehen. 23 Weg mit dem Lärm deiner Lieder! Dein Harfenspiel will ich nicht hören, 24 sondern das Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Schon hier deutet sich die spätere Forderung Jesu an, den Blick auf den Menschen zu richten und menschlich zu handeln, statt durch Opfergaben sein Gewissen vor Gott zu beruhigen und sich reinzuwaschen.

Dekalog und Doppelgebot der Liebe Jesu

In vielen biblischen Erzählungen wird verdeutlicht, das Gott das Leben der Menschen in Freiheit angelegt hat. Gott teilt sicch den Menschen mit und wendet sich besonders den Unterdrückten, Verfolgten und Schwachen zu. Der gläubige Mensch bindet sich als Antwort auf die von Gott geschenkte Freiheit an eine göttliche Ordnung, die sich an der Ehre Gottes und gleichzeitig am Wohl des Nächsten orientiert. Dieser Zusammenhang zwischen Gottes- und Nächstenliebe kommt in den Zehn Geboten besonders deutlich zum Ausdruck. Der Dekalog (Ex20,1-17 und Dtn5,6-21) geört zum Fundament des jüdisch- christlichen Glaubens und ist als Wegweiser Gottes für die Menschen zu verstehen. Man kann die Zehn Gebote auch als eine Art "Grundgesetz" des Bundes zwischen Gott und Mensch beschreiben.

Die ersten drei Gebote beziehen sich auf das Verhältnis zwischen Gott und Mensch und können durchaus als Kultkritik verstanden werden. Das zwischenmenschliche Zusammenleben wird durch die darauf folgenden drei Gebote geregelt. Hier werden grundlegende soziale Gerechrigkeitsforderungen formuliert. Diese Sozialgebote schützen die grundlegenden Lebensrechte wie physisches Leben, Recht und Eigentum. Im polytheistischen Umfeld seiner Entstehung wurde der Dekalog für das Volk Israel identitätsstiftend und gleichzeitig Grundlage für eine exklusive Gottesbeziehung, ein friedliches Zusammenleben und ein Leben in Freiheit.

Auch im Neuen Testament behält der Dekalog seine Gültigkeit. Die Frage, welches Gebot denn nun das erste (wichtigste) sei Mk12,28), beantwortet Jesus, indem er auf die Gottes- und Nächstenliebe Bezug nimmt. Gottesliebe (1. bis 3. Gebot)und Nächstenliebe (4. bis 10. Gebot) gehören eng zusammen und sollen bzw. können nicht getrennt von einander gesehen und gelebt werden. Gottes Liebe geht der Liebe des Menschen voraus und ermöglicht diese. Zusätzlich stellt Jesus hier den Anspruch zur Selbstliebe: nur wer, sich selbst annimmt und sich selbst positiv gegenüber steht, kann sich anderen Menschen zuwenden. Die Selbstliebe ist also Voraussetzung für das Gebot 'Liebe deinen Nächsten wie dich selbst'.

Gottesliebe: 29 Jesus antwortete: Das erste ist: Höre Israel, der Herr unser Gott, ist der einzige Herr. 30 Darum sollst du den Herrn deinen Gott, lieben mit ganzem herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken udn all deiner Kraft. (Mk12,29f) Nächstenliebe 31 Als Zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden. (Mk12,31)