Das Grundanliegen des Wirkens Jesu war die Verkündigung des Reiches Gottes. Daher findet man im NT kein ethisches System, sondern einzelne
Anregungen zum richtigen Handeln, die dem Kommen des Reiches Gottes dienen.
Die Bergpredigt ist sozusagen das eine Zusammenfassung der ethischen Ansprüche Jesu und wird auch oft als Herzstück der Verkündigung Jesu
gesehen.
Aufbau und Verankerung im Neuen Testament
Der bekannte Name "Bergpredigt" steht für die Rede Jesu auf einem Berg, die im Matthäusevangelium des Neuen Testaments in den Kapiteln 5–7 wiedergegeben wird. Dieser literarisch anspruchsvolle Text bildet die erste von insgesamt fünf Lehrreden. Im Matthäusevangelien folgt auf diese Lehrreden ein Wunderzyklus, der als greifbarer Beweis für das Wirken Jesu fungiert. Matthäus entfaltet hier also die Lehre Jesu und legt damit das Fundament christlicher Identität.Der Name Bergpredigt bezieht sich auf den Ort, an dem Jesus die Rede gehalten haben soll. Auch ist der Berg im Judentum ein bekanntes Motiv und wiederholt ein Ort der Gottesnähe, wie der Berg Sinai.
Eine inhaltliche und formale Entsprechung findet sich in der „Feldrede“ im Lukasevangelium (Lk 6,17–49): Auch sie enthält Seligpreisungen und die Goldene Regel, verschärft allerdings deutlicher die Gebote Jesu, insbesondere den Aspekt der Feindesliebe.
Die ethische Botschaft Jesu
Jesus als Jude setzt die atl Tradition voraus. Von den zentralen ethischen Grundsätzen des Judentums übernimmt er den Dekalog und die Forderung nach Gottes- und Nächstenliebe. Zugleich aber überschreitet er die atl Moralvorstellungen: • Jesus übernimmt nicht die Überlieferung der Alten (Auslegung der Tora und die der Gesetzeslehrer).• Jesus setzt sich über Sabbatvorschriften hinweg, wenn es um das Wohl von Menschen geht.
• Jesus lehnt die kultischen Reinheitsvorschriften des Judentums ab.
• Jesus stellt den zeitgenössischen Tempelkult mit seinen Tieropfern, der Tempelsteuer und dem Kult- und Sühnewesen in Frage.
Ausgangspunkt für die Verkündigung Jesu ist der Aufruf zur Bekehrung: "Das Reich Gottes ist nahe; Kehrt um und glaubt an das Evangelium". Im Vordergrund steht die Zusage des Heils Gottes für alle Menschen. Der Mensch, der sich Gott zuwendet steht unter der Herrschaft Gottes und sein Leben ist damit geprägt von der Liebe und Sorge Gottes; daraus erwächst die Fähigkeit, auch anderen Menschen mit einem ähnlichen Vertrauen zu begegnen, das innerweltlich nicht mehr begründet werden braucht. Unter diesen Voraussetzungen sind auch die Forderungen der Bergpredigt zu verstehen: Der Aufruf zur Barmherzigkeit, Sanftmut, Friedfertigkeit, Verzicht auf Vergeltung, Aufrichtigkeit der Gesinnung, Hingabe, Vertrauen u.a.m.
Auch das Hauptgebot der Liebe ist in dieser Sicht eine Zusammenfassung der sittlichen Botschaft Jesu. Es wird radikalisiert zur Forderung der Feindesliebe, die die Überwindung persönlicher, gesellschaftlicher und nationaler Gegensätze anstrebt. Auch hier liegt die tiefere Begründung darin, daß vor Gott solche Begrenzungen menschlichen Zusammenlebens aufgehoben sind. Jesu Aussagen zum Handeln sind nicht als neues Gesetz zu verstehen. Sie sind Konsequenz für den Menschen, der sich auf die Botschaft vom Reich Gottes eingelassen hat. Seine Weisungen ermöglichen und erfordern eine jeweils neue Interpretation. Sie sind offen und flexibel für jede Zeitepoche.
Inhalt der Bergpredigt
Die Ethik Jesu hat drei inhaltliche Schwerpunkte: Alle moralischen Forderungen konzentrieren sich in dem Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe. Dieses Grundgebot erfordert vom Menschen neues Denken. Und dieses muss sich schließlich im konkreten Handeln der Liebe manifestieren.Seine Lehre trägt Jesus in Gleichnissen und Beispielgeschichten vor. Der Hörer wurde sozusagen in seiner Lebenswelt und seinen Erfahrungen abgeholt, und muss die Gleichnisse und Erzählungen in einem Übersetzungsprozess auf das eigene Leben zu übertragen. Auf dem Weg jener doppelten Liebe ist es dann das Gewissen des Einzelnen, das entscheiden muss, wann der Mensch zum Nächsten wird: So schildern die Antithesen beispielhaft Verhaltensweisen, die sich dem eigenen Gewissen folgend auf die individuelle Lebenssituation übertragen lassen.
Die Seligpreisungen (Mt 5,3–12) sind gewissermaßen das Eingangstor zur Bergpredigt. Sie bereiten den Hörer auf die zentralen Themen der folgenden Rede vor. Als zur Zeit Jesu verbreitete Redegattung sind die Makarismen der Bergpredigt einzigartig: Sie versprechen das Heil den heillosen Menschen, unabhängig von jeglicher menschlicher Vorleistung; der Zeitpunkt der Erfüllung dieses Heils ist die Gegenwart: „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.“ (Mt 5,3) Die Reich-Gottes Verkündigung Jesu beinhaltet das messianische Zeitgefühl – dass Gottes Verheißungen in der Jetztzeit wahr werden. Die Seligpreisungen konfrontieren den Menschen mit der Umwertung aller Werte, nicht als Ressentiment gegen das Leben und sein alltägliches Glück, sondern als Mahnung und Anfrage an unseren Lebensstil.
Auch die Antithesen (Mt 5,21–48) bilden von ihrer formalen Struktur her eine eigene Texteinheit. Die einleitende Formel „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist…“ wird mit dem Gegensatz „Ich aber sage euch…“ zum Muster für die Thesen zu Zorn und Versöhnung, zur Ehe und Scheidung, zum Schwören, zur Gewaltlosigkeit und zur Nächsten- und Feindesliebe. Die Botschaft der Antithesen nimmt bei Jesus ihren Anfang und endet im Handeln der Adressaten. So soll sich die überlieferte Botschaft vom Anbruch des Reichs Gottes in der jeweiligen Gegenwart des Lesers und Hörers bewahrheiten – erst wenn diese ihr Leben nach dem Evangelium ausrichten, ist das Überlieferungsgeschehen vollendet. Die Antithesen zeichnen exemplarisch ein vollkommenes christliches Leben, in dem sie Konflikte des menschlichen Alltags mit Wegen der Versöhnung verbinden. Die Vision einer versöhnten Welt nimmt – in der Grundrichtung der Ethik Jesu– ihren Lauf von der inneren Heilung des Menschen zu einem umfassend gelungenen Leben in Wort und Tat.
Das Vaterunser die zentrale Stellung ein, sodass die Bergpredigt gewissermaßen zu einem Schlüssel für das Verständnis jenes Gebets wird. Es wird umrahmt von der Darstellung der guten Werke: dem Grundsatz der Gerechtigkeit, der Aufforderung zur Almosengabe, dem richtigen Fasten und dem Beten im Allgemeinen. (Mt 6,1–18). Als vertrauensvolles Bitten in allen Anliegen ist das Gebet nach der Aufforderung Jesu besonders bestimmt von unbedingter Erhörungsgewissheit. Die Anrede „Vater“ ist dabei Zeugnis seiner einzigartigen Nähe zu Gott, dessen Liebe zu jedem einzelnen Menschen Jesus offenbaren will.
Und wie üblich zum Abschluss der Hinweis auf ein Lernvideo: